Cuyabeno

14. – 17.10 2015
 
Auf der Landkarte betrachtet nimmt das Amazonasbecken einen beachtlichen Teil des südamerikanischen Kontinents ein. Glücklicherweise gibt es noch kein ausgebautes Straßennetz, welches dieses einzigartige Gebiet durchzieht. Wir hatten lange überlegt, ob wir mit dem Motorrad so weit wie es eben geht ins Amazonasbecken hineinfahren und uns vor Ort einen Guide suchen, oder ob wir uns einer dieser Touren anschließen, die zum Beispiel von Quito aus angeboten werden. Die Reise in das Amazonasgebiet wollen wir gemeinsam mit Joey machen. Daniel will lieber in Quito bleiben und arbeiten, da er früher schon mal im Amazonas unterwegs war. Die angenehm kühle Luft in Quito will er nicht mehr gegen Hitze und die Moskitos tauschen. Auch damit er nicht so lange auf uns warten muss, entscheiden wir uns letztendlich für eine gebuchte Tour. In einem Reisebüro in Quito werden wir fündig und buchen eine mehrtägige Kanutour im Cuyabeno Reservat.
 
In schweißtreibender Hitze sind wir schon genug Motorrad gefahren, also haben wir auch nichts dagegen, uns mal in einem klimatisierten Bus die circa 300 Kilometer bis vor die Tore des Cuyabeno Reservats fahren zu lassen. Der Nachtbus fährt um 21:30 Uhr vom Quitumbe Bus Terminal ab. Zunächst lassen wir über kurvige Bergstraßen die Anden hinter uns. Als es am morgen hell wird, befinden wir uns bereits in den Tropen. Dichter Wald mit verhangenen Bäumen wechselt sich ab mit den Nutzflächen der Einheimischen. Die satten Grüntöne werden noch von den Nebelschwaden verborgen. Ein Anblick, so wie man ihn sich von einer Regenwaldregion vorstellt. Die Vorfreude auf die nächsten Tage wächst.
 
Während der Fahrt passieren wir allerdings auch einige Anlagen, die auf die Förderung von Öl zurückzuführen sind. Eine ganze Zeit lang taucht neben uns auf der Straße immer wieder eine Pipeline auf. Ein wenig Recherche vor der Tour über die Region, hat leider schon den traurigen Teil der Geschichte des Reservats offenbart. Schon kurz nach der Gründung des Cuyabeno Nationalparks wurde im Schutzgebiet und der umliegenden Region nach Öl gebohrt. Seit 1964 hat der amerikanische Ölkonzern Texaco (in 2001 von Chevron gekauft) zum Teil gemeinsam mit dem staatlichen Unternehmen Petroecuador circa 5,3 Milliarden Liter Öl gefördert.
In dieser Zeit gab es sowohl etliche Katastrophen in denen Millionen Liter von Öl durch Lecks ausgelaufen sind und den Lebensraum von Flora, Fauna und indigenen Völkern verseucht haben. Zusätzlich wird behauptet, dass große Mengen von schwer belastetem Abwasser wissentlich in das Flusssystem eingeleitet wurden und hunderte Müllhalden mit hochgiftigen Schadstoffen entstanden sind. Chevron wurde vom ecuadorianischen Staat zu mehreren Milliarden Dollar Strafe aufgrund von Umweltverschmutzung verurteilt. Der Konzern zog allerdings mit einer Gegenklage vor Gericht. Er sei nicht verantwortlich, da der Schaden zu Zeiten von Texaco entstand und dieser damals bereits 40 Millionen Dollar zur Entschädigung gezahlt hat. Für alles weitere sei Petroecuador verantwortlich, also der ecuadorianische Staat selbst.
 
Hugo, unser Guide empfängt uns am Nationalparkeingang und gibt uns eine kleine Einweisung, in der er uns nicht viel mehr sagt, als wir eh schon wissen. Keinen Müll in den Wald werfen und sich ruhig verhalten, damit man die Tiere nicht verscheucht. Außerdem erklärt er uns „Flora bewegt sich nicht, Fauna schon…“. Mit dieser neuen Erkenntnis begeben wir uns auf die 20-minütige Bootsfahrt zu unserer Lodge, der Cuyabeno-Lodge. Vor uns liegen 4 Tage „Amazonas-Abenteuer“, auch wenn wir uns nur in einem Nebenfluss x-ter Ordnung des eigentlichen Amazonasstromes befinden. Wir sind auf dem Rio Aguas Negras, welcher in den Rio Aguarico mündet. Dieser wiederum fließt in den Rio Napo, ein großer Zustrom des Amazonas. Es würde also einige Tage dauern, bis wir auf dem großen Fluss wären. Die Artenvielfalt der Tier- und Pflanzenwelt hier ist jedoch nicht weniger spannend.
 
In der Lodge gibt es zunächst Frühstück. Von den umliegenden Bäumen hängen Vogelnester aus den Baumkronen herab. Die Vogelstimmen sorgen für eine entsprechende Atmosphäre. Die Lodge besteht aus mehreren offenen Holzhütten, die auf Stelzen gebaut sind und jeweils über einen Steg mit dem Hauptsteg verbunden sind. Momentan ist hier Trockenzeit und daher steht das Wasser des angrenzenden Flusses tief. In der Regenzeit ist man auf die Nutzung der Stege angewiesen, da dann das Wasser einige Meter höher steht.
Wir machen einen mehrstündigen Jungle Walk mit dem Guide Daniel. Es ist leider nicht so wie in einer der Fernsehdokumentationen, in denen man ständig Tiere sieht. So wie sich die Filmemacher stunden- oder tagelang auf die Lauer legen, um die eine Aufnahme zu machen, müssen wir auch Geduld mitbringen und zunächst unser Auge schulen. Die meisten Tiere, die hier leben, sind Meister der Tarnung. Wir laufen wahrscheinlich an unzähligen Insekten und Reptilien vorbei. Unser Guide zeigt uns einen winzigen Frosch, der sich perfekt an die braune Farbe und Form des am Boden liegenden Laubes angepasst hat. Nach und nach entdecken wir einige Spinnen, Käfer und verschiedenste Insekten, die wir noch nie zuvor gesehen haben. Nach dem Mittag und einer Ruhepause brechen wir zu einer 3-stündigen Nachtwanderung auf. Aufgrund der Nähe zum Äquator wird es schon kurz nach 18 Uhr dunkel. Im Schutz der Dunkelheit und der größten Hitze des Tages entgehend, werden nun die meisten Tiere aktiv. Bald fängt es an zu regnen. Im Schein der Taschenlampen entdecken wir eine Mantis (Gottesanbeterin), verschiedene große und kleine Spinnen, eine Echse, eine Maus, einen großen Frosch und eine kleine Baumschlange. Nachts im Wald auf Entdeckungstour zu gehen und nach Tieren zu suchen kann sehr spannend sein, da jedes Mal die Freude groß ist, wenn wir wieder ein anderes Tier in seiner natürlichen Umgebung entdecken. Mit der Geräuschkulisse des Dschungels finden wir in der Lodge ruhigen und entspannten Schlaf, nachdem wir vor dem zu Bett gehen nochmal das Dach nach großen Spinnen abgesucht haben.
 
Am nächsten Tag soll unsere Tour mit dem Kanu beginnen. Leider dauern die Vorbereitungen länger als geplant und wir können erst nach 13 Uhr starten. Wir ärgern uns ein wenig über die verlorene Zeit, die wir schon längst auf dem Fluss hätten verbringen können. Zu sechst sitzen wir im Boot: Hugo, der für die nächsten drei Tage unser Guide sein wird, sein Gehilfe Cleve, Jonas, ein weiterer Deutscher, der die Tour gebucht hat und wir drei. Der hintere Teil vom Boot ist mit Campingausrüstung, Wasserkanistern, Essen, Küchengerät und Gas für den Kocher vollgepackt.
Nun heißt es paddeln. Ab nun reisen wir ohne Motor, damit wir langsam und lautlos über den Fluss gleiten können. Nach circa 30 Minuten Paddeln werden wir von einem Motorboot eingeholt. Der „Muchacho“ bringt uns den Kocher nach, von dem unser Guide noch gar nicht wusste, dass er ihn vergessen hat.
An diesem ersten Tag sehen wir kaum Tiere. Hauptsächlich begegnen uns die „Morphos“, große blaue, Schmetterlinge.
 
Es wird Zeit das Lager aufzuschlagen. Da das Flussufer natürlicherweise stark bewachsen ist, gibt es nur an wenigen Stellen entlang des Flusses kleine Campingmöglichkeiten für Kleingruppen wie uns. Mitten im Urwald befindet sich eine kleine Lichtung, die schon jemand mit schwarzer Folie zum Regenschutz überspannt hat. Zunächst entladen wir das Boot und bilden dazu am matschigen Ufer eine Kette, um nach und nach die schweren Kisten mit Essen, Wasser, Gas und Ausrüstung ins Camp zu bringen. Danach erfolgt die Einrichtung: Aufbau von Zelten und Küche. Hugo kocht uns mit seinem Gehilfen ein warmes Abendmahl: Reis, Kartoffeln mit Fleisch und Brokkoli.
Schon ist es stockdunkel und im Schein von Kerzenlicht erzählt uns Hugo vom Leben eines Tourguides. Er macht das nun schon einige Jahre in Zusammenarbeit mit der Lodge und dennoch gibt es immer wieder Probleme. Zum Beispiel sollte er nach unserer Tour eigentlich frei haben und zu seiner Familie rückkehren. Heute Morgen bekam er die Nachricht, dass er gleich im Anschluss an uns wieder eine Gruppe für mehrere Tage bekommt. Ablehnen kann er sich nicht leisten, dann wäre er früher oder später seinen Job los.
Einige der geführten Reisen beinhalten den Besuch eines Schamanen. Im Prospekt steht natürlich „echter“ Schamane,… in Wirklichkeit seien es laut Hugo speziell für diese touristischen Zwecke angestellte Leute. Sie haben keine nennenswerten Vorkenntnisse in Pflanzenkunde, geschweige denn kennen sie sich in Heilkunde aus, waren also nie in ihrem Leben Schamane, sind allenfalls mit einem verwandt. Wir schätzen die Offenheit Hugos. Doch bemerken auch wir auf der weiteren Reise über den Fluss, dass er uns nur wenige tiefergehende Fragen zur Tier- und Pflanzenwelt dieses Ökosystems hier beantworten kann. Nun heißt es aber erstmal schlafen, vielmehr können wir in der Dunkelheit hier eh nicht mehr machen. Zur Notdurft sucht sich jeder irgendwo im Wald ein Plätzchen. Mehr oder weniger in absoluter Dunkelheit dazuhocken und nicht zu wissen was sich gerade unter oder über einem bewegt macht die Sache spannend.
 
Zelte, Isomatten und Schlafsäcke bekommen wir vom Veranstalter gestellt. Aufgrund der hohen Luftfeuchte in der Region riecht das Zeug etwas muffig. Wir fragen uns gar nicht erst, wie viele Jahre das Zeug schon im Einsatz ist. Die Isomatten erfüllen ausschließlich den Zweck der Isolation, bezüglich der Härte hätten wir auch direkt auf dem Boden schlafen können. Am Ende des Tages sind wir jedoch so müde, dass es uns das alles egal ist. Die Geräusche des nächtlichen Regenwalds, welche die ansonsten absolute Stille durchdringen begleiten uns in den Schlaf.
 
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen gleiten wir wieder den Fluss hinunter. Wir sichten eine große Gruppe kleiner Affen über uns in den hohen Baumwipfeln. Mehrmals sehen wir einen großen Fisch, der sich im Wasser vor uns wälzt. Er verschwindet genauso schnell wie er aufgetaucht ist. Es könnte sich um den großen Amazonasfisch Arapaima handeln, der bis zu 2 Meter lang wird. Die große Hoffnung die wir während der Paddeltour haben, ist natürlich einer der gigantischen Anakondas zu sichten. Leider ist es auch hier nicht wie im Film, dass irgendwann eines der Tiere plötzlich auf dem Wasser auftaucht, dann solange neben dem Boot herschwimmt bis wir uns satt gesehen haben, um uns anschließend den finalen Showdown zu bieten in dem es nach langem Kampf ein Wasserschwein erlegt. Nein, wir gleiten Stundenlang übers Wasser, die Augen angestrengt Ufer und Wasseroberfläche absuchend und sehen nichts. Vielversprechende Gestalten enttarnen sich beim Herannahen als Wurzeln oder Äste. Keine monströse Anakonda, keine Kaimane, Flussdelfine, nicht einmal eine Schildkröte erblicken wir. Wir geben die Hoffnung natürlich nie auf und werden zumindest mit einem kleinen Exemplar einer Anakonda belohnt: Sie liegt versteckt zwischen Ästen an einer Uferböschung. Sie ist braun mit schwarzen und gelben Punkten, vielleicht 3 Meter lang und damit verhältnismäßig klein. Da ist sie also, die gefürchtete Königin des Dschungels. Bewegungslos liegt sie da, bis sie uns vielleicht doch bemerkt hat und sich langsam ins Dickicht zurückzieht.
 
Wir paddeln weiter und machen Bekanntschaft mit einem Begleiter des Regenwaldes, auf den man sich hier verlassen kann: Regen. Sehr starker Regen. Es schüttet sprichwörtlich wie aus Eimern. Wir haben uns dicke Ponchos übergeworfen, mit denen das Paddeln sehr beschwerlich wird. Es gibt nichts wo wir uns unterstellen könnten. Wir können nichts tun als weiter zu paddeln und auf das Ende des Regens zu warten. In kurzem Takt schöpfen wir literweise Wasser aus dem Boot. Das Wasser hat sich inzwischen auch schon den Weg unter den Poncho gesucht, sodass es mit der Zeit recht kühl wird. Frieren im Regenwald, wer hätte das gedacht. Eigentlich sollten wir heute zu einer Lagune paddeln, doch das lassen wir auf Grund der Umstände aus. So paddeln wir solange flussabwärts, bis wir zu einem Steg einer Lodge kommen, die sich gerade im Aufbau befindet. Hugo meint das wäre ein guter Platz zum Kochen, da es dort eine kleine überdachte Stelle gibt. Wir schleppen also alles was wir benötigen, die glitschige Holztreppe hinauf und können unter dem kleinen Dach etwas durchatmen. Wir kochen Nudeln. Diese werden mit Tomaten, Zwiebeln und Thunfisch vermengt. Das sieht auf den ersten Blick nicht so lecker aus, doch es schmeckt überraschend hervorragend. Vielleicht liegt es auch an der Situation und der Tatsache, dass es draußen immer besser schmeckt und die Wärme des Essens gut tut.
Es regnet nun nicht mehr ganz so stark und wir machen uns wieder auf den Weg zu unserem Tagesziel: einer Community der Siona Indianer. Man nimmt uns freundlich aber mit Diskretion auf. Die Indianer hier leben mehr oder weniger vom Tourismus und das spürt man entsprechend. Das ist zwar schade, aber sehr gut nachvollziehbar. Wenn mehrmals wöchentlich irgendwelche Fremde dein Heimatdorf besuchen, dann hat das irgendwann nichts mehr mit interessanten Begegnungen unter Völkern zu tun. Das größte Interesse besteht dann darin, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Im Gegenzug stellen sich die Indianer selbst und ihre Familie zur Schau. Dennoch bekommen wir so einen kleinen Eindruck über ihre Lebensart.
Sie gestatten uns in der Gästehütte unsere Zelte aufzuschlagen und wir hängen unsere nassen Sachen nahe an das Feuer, welches die Kinder in einer Ecke der Hütte schüren. Selbst in der Nähe des Feuers trocknen unsere Sachen aufgrund der hohen Luftfeuchte nur schwer.
Unter Joeys Sitz taucht ein kleiner Skorpion auf. Bekanntermaßen sind die kleinen die giftigsten. Hugo meinte normalerweise kommen sie nicht in die Hütten, da sie dort keine Ruhe finden. Dieser hier fand es wohl in der Nähe des Feuers gemütlich warm.
 
Nach dem Abendessen sitzen wir noch eine Weile beisammen, bevor sich dann jeder ein sein Zelt zurückzieht. Dafür geht es morgens immer zeitig raus. Diesmal steht Yucabrot backen auf dem Plan. Am Anfang steht die Ernte des Grundnahrungsmittels. Dazu ziehen wir mit einer älteren Einheimischen los und besorgen aus dem umgrenzenden Gebiet Yuca (auch als Maniok bekannt). Ohne viele Worte zeigt sie uns, wie sie die stärkehaltigen Wurzeln aus der Erde holt und anschließend mit gekonnten Machetenschlägen schält. Zurück in der Hütte werden die Wurzeln per Hand geraspelt. Nebenbei wird schon das Feuer vorbereitet. Nachdem alle Wurzeln geraspelt sind, muss die Flüssigkeit aus der Masse gepresst werden. Dazu wird das Yuca in eine große geflochtene Matte gewickelt. Dieses wird dann senkrecht aufgehangen und am unteren Ende mithilfe eines Holzstabes, eingedreht. Dabei wird der Saft aus dem Yucca gepresst und läuft aus der Matte in einen Auffangbehälter. Dieser Vorgang ist harte Arbeit, denn es wird bis zum Letzten Tropfen gepresst, ähnlich wie beim Auswringen feuchter Wäsche. Das so entstandene Yuca-Mehl wird im Anschluss auf runde flache Platten verteilt, die bereits über dem Feuer positioniert sind. So wird ein dünner weißer Fladen gebacken. Yucabrot ist hier ein sehr wichtiges Nahrungsmittel. Wir dürfen es backfrisch kosten und sind erstaunt von dem guten Geschmack. Es ist ein reines Naturprodukt ohne jegliche weitere Zutaten hergestellt, nicht einmal Salz wurde beigemengt. Der Yuca-Saft wird von den Indianern ebenfalls weiterverwertet, im einfachsten Fall zum Trinken. Der alten Frau sieht man die Anstrengung, welche die Herstellung des Brotes mit sich bringt an. Währen der ganzen Prozedur hat sie nicht gesprochen und wir haben ihre auch keine Fragen gestellt.
 
Heute sind wir nicht mehr all zu lange auf dem Fluss unterwegs, da wir durch das Auslassen der Lagune schon weiter vorgedrungen waren als geplant. Nach weniger als zwei Stunden paddeln, erreichen wir unser letztes Ziel. Wir biegen ab auf einen kleineren Seitenarm in dem das Wasser zu stehen scheint. Plötzlich finden wir uns in einem Weiher voller kleiner toter Fische, die an der Wasseroberfläche treiben. Eine möglich Erklärung dafür ist, dass dieser Bereich während der Trockenzeit, in der wir uns gerade befinden, vom restlichen Wasser abgeschnitten war und die Tiere im schlammigen sauerstoffarmen Gewässer erstickt sind. Der Regen vom Vortag hat laut Hugo den Wasserspiegel wieder steigen lassen.
Diesmal beziehen wir ein verlassenes, alleinstehendes Haus, mindestens 200 Meter vom Ufer entfernt, sodass es eine Weile dauert, bis wir alles vom Boot geladen haben. Das Haus könnte man auch als Ruine bezeichnen. Es ist ein für hier typisches Holzhaus auf Stelzen und hat zwei Etagen. Ein Teil des Hauses ist abgebrannt. Im Obergeschoss finden wir Platz für unsere Zelte in einem Teil, der nicht mit altem Unrat verstellt ist. An der hinteren Wand fehlen Bretter, sodass wir zum Teil Blick direkt in den angrenzenden Wald haben. Circa eineinhalb Meter hinter unserem Zelt entdecken wir eine Spinne. Sie hat einen ungefähr 4 Zentimeter langen glatten und bunt gemusterten Leib. Da ist noch eine, und noch eine, und noch eine,… es ist ein großer Verbund aus dutzenden Tieren, die hier mehrere ineinander greifende Netze gebaut haben, und auf Beute, hauptsächlich Schmetterlinge und Falter warten. Nach etwas Recherche habe ich die Vermutung, dass es sich hier um eine Art der Nephila Spinnen (auch Seidenspinnen genannt) handeln könnte. Wenn sie giftig wären hätte uns Hugo schon gewarnt, also lassen wir sie dort hängen und begutachten sie eine Weile. Sie werden sich wohl hauptsächlich in ihrem Netz aufhalten und nicht bis zum Zelt verirren.
Draußen im Umfeld entdecken wir noch weitere und größere Exemplare. Eine bearbeitet gerade einen frisch gefangen Schmetterling. Sie lähmt ihr Opfer, spinnt es ein und wird ihm etwas zur leichteren Verdauung injizieren.
 
In dem Haus finden wir etwas, dass aussieht wie ein aus Holz geschnitztes Tier. Hugo erklärt uns das ist das alte Haus eines richtigen Schamanen, der vor 5 Jahren gestorben ist. Aha, hoffen wir mal dass er nur von guten Geistern umgeben war.
Wir haben nun etwas Freizeit. Mit der Kamera begebe ich mich auf Erkundungstour und der Weg führt mich wieder an den Weiher. Zu meiner Überraschung treffe ich dort, neben Joey, die dort am Ufer sitzt, auf zwei kleine Indianermädchen. Sie waten barfuß durchs Wasser und fangen mit den Händen einige größere Fische, die bisher überlebt haben, aber schon stark geschwächt sind. Leichte Beute. Die beiden sind neugierig und kommen auf uns zu, zeigen uns lächelnd ihre Beute. Sie sprechen auch etwas Spanisch. Dann verschwinden sie wieder entlang eines Pfades im Wald. Auf dem Rückweg zum Haus sehe ich im Augenwinkel eine Bewegung. Es scheint ein größeres Tier zu sein. Bei genauem Hinsehen ist es einer der Fische. Die Mädchen hatten scheinbar so viele gefangen, dass sie nicht alle mit nach Hause nehmen konnten und haben einige davon entfernt des Wassers abgelegt, um sie später zu holen. Dieser Fisch hat sich nun schon ein gutes Stück von den anderen entfernt und rollt sich zuckend, versteckt im Laub, den Abhang hinunter. Ich lege ihn wieder zu den anderen. Hoffentlich sind die beiden rechtzeitig zurück, bevor ihre Beute wieder abhaut.
Am Nachmittag unternehmen wir mit Hugo noch eine Tour durch den Wald. Nach vielleicht einer Stunde fängt es so stark an zu regnen, dass wir umkehren müssen. Hugo, Stephan und ich hatten unsere Ponchos nicht mitgenommen. Stephan bekommt Joeys Poncho, muss aber dafür zwei Kamerarucksäcke zum Schutz darunter tragen. Hugo schnappt sich die drei einzigen großen Blätter vom Wegesrand und Joey und ich denken zunächst, dass er uns jeweils eines geben würde. Er formiert sich jedoch alle drei als Regenschirm über seinen Kopf und rennt damit an uns vorbei. Arsch. Wir machen uns nun selbst auf die Suche nach großem Blattwerk, doch bis wir das beisammen haben sind wir eh schon durchnässt.
Kleine Rinnsale, die wir auf dem Hinweg noch mit normalem Schritt überstiegen haben, müssen wir nun schon durchwaten. Klatschnass, sprichwörtlich bis auf die Haut, kommen wir im Schamanenhaus an. Eine Feuerstelle gibt es hier nicht, also heißt es so gut es geht abtrocknen und die weniger feuchten Sachen vom Vortag anziehen. Der letzte Abend unserer Tour wird im Erdgeschoss bei Kerzenschein dennoch recht gemütlich.
 
Am Samstagmorgen packen wir unsere Sachen zusammen und warten am Ufer auf das Boot von der Lodge. Da wir in den letzten Tagen flussabwärts gepaddelt sind, bräuchten wir flussaufwärts ein Vielfaches der Zeit, um zur Lodge zurückzukommen. Daher ist es so vorgesehen, dass man am Ende der Tour von einem Motorboot abgeholt wird, das Paddelboot im Schlepptau. Gegen 9 Uhr sollte der Kollege kommen. Um Elf ist immer noch keiner da. Langsam wird auch Hugo nervös. Nach und nach erfahren wir, dass uns ein „neuer“ Kollege abholen sollte und unser letzter Stopp hier nicht abgesprochen war. Genial. Hugo schickt Cleve mit dem Paddelboot zum Hauptarm, um vielleicht den Kollegen von der Cuyabeno Lodge abzufangen. In der Zwischenzeit treffen wir nochmal auf die Indianermädchen, die diesmal noch ihren kleineren Bruder dabei haben. Sie zeigen uns einige Früchte aus dem Wald.
 
Zufällig kommt später ein Siona Indianer in den Weiher gefahren. Hugo erklärt ihm unsere Situation. Es folgen Verhandlungen. Der Einheimische könne uns für 80 USD mitnehmen. Hugo handelt ihn zumindest auf 50 USD runter. Eine Gallone Benzin kostet hier um die 5 USD, daher der hohe Preis. Hugo hat natürlich kein Geld dabei, sodass wir alle zusammenlegen und hoffen, dass wir das Geld auch wieder bekommen. Der Indianer bringt uns bis zur Siona Community zurück. Dort stellt sich heraus, dass unser Abholer uns hier erwartet hatte und auch nur die entsprechende Menge Benzin dabei hatte. Bei den Einheimischen ist es hier äußerst schwierig Benzin zu kaufen. Sie wollen natürlich ihre Vorräte nicht schwinden sehen. Nach einigem hin und her sollen wir in ein anderes Boot steigen und einer der Indianer erklärt sich bereit, uns zurück zur Lodge zu fahren. Hugo kann ihn wenigstens davon überzeugen, noch einen Abstecher zur Lagune zu machen, die wir auf dem Hinweg wegen dem starken Regen verpasst hatten. Es hat sich gelohnt. Es ist so, wie man sich die breiteren Teile des Amazonas vorstellt. Große Bäume ragen direkt aus dem Wasser. Eine dunkle Wolkenfront bahnt sich am Horizont an. Wir könnten hier viel mehr Zeit verbringen, doch es liegen noch einige Stunden Fahrt vor uns und am Abend fährt unser Bus zurück nach Quito. Der Fluss hat nun einen 1,50m höheren Wasserstand als auf unserer Hinreise. Daher sieht er auch viel anders aus. Wir sehen noch ein Faultier und etwas größere Affen mit flauschigen Schwänzen. Am frühen Abend erreichen wir die Lodge. Wir schaffen es noch zu Duschen, etwas zu essen und dann werden wir auch schon wieder zum Bus gebracht. Innerhalb von zwei Stunden fahren wir mit dem Bus nach Lago Agrio und besorgen uns dort Bustickets für die Fahrt über Nacht zurück nach Quito. In den frühen Morgenstunden kommen wir in Quito an, gönnen uns ein Taxi und liegen um 5:20 wieder in unserem eigenen Zelt.
 
Viel zu schnell ist das Abenteuer Amazonas wieder vorbei und es hat Lust auf mehr gemacht. Leider haben wir weniger Tiere als erwartet gesehen und am zweiten und letzten Tag wurde viel Zeit verplempert. Unser Guide war zwar nett, hat sich neben den organisatorischen Dingen, für die er nicht immer was konnte, einige Schnitzer erlaubt und uns nicht wirklich etwas über den Lebensraum Regenwald erklären können. Daher waren wir uns am Ende uneinig darüber, wieviel Trinkgeld wir nun geben sollten / müssten. Der Trip hat sich dennoch mehr als gelohnt. Wir würden das Paddeln, auch wenn es anstrengender ist, jeder Zeit einem Befahren mit dem Motorboot, so wie es die meisten Touristen hier machen, vorziehen. Zum Einen ist man langsamer und zum Anderen auch leiser unterwegs. Die Atmosphäre des Flusses und Waldes kann man so viel besser auf sich wirken lassen. Aus dem Motorboot hätten wir wahrscheinlich nicht einmal die Anakonda gesehen. Eines Tages werden wir uns hoffentlich nochmal in den Amazonas verirren.
 


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