Straße des Friedens
14.-21.05.2015
Wir verabschieden uns von Gabriel und seiner Familie und fahren los, ohne unser Tagesziel zu kennen. Wir dachten die Region um San Vicente könnte interessant sein, aber nach einem kurzen Abstecher in die kleine Stadt wissen wir nicht, warum wir bleiben sollten und entscheiden uns weiter zu fahren. Vor einigen Tagen hatte ich in einem deutschen Online Zeitungsartikel von Perquin und der Ruta de La Paz (Straße des Friedens) gelesen. In dem Gebiet im Nordosten des Landes kämpfte während des Bürgerkrieges in El Salvador (1980-91) verstärkt die Guerilla der Rebellenarmee FMLN (Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí). Wir machen also das „Museo de la Revolucion“, welches von ehemaligen Guerillas errichtet wurde und betreut wird, zu unserem Tagesziel. Wir kommen noch rechtzeitig an und können das Museum für $1.50 Eintrittsgebühr besichtigen. Zu sehen sind unter anderem Reste eines abgeschossenen Hubschraubers, Bomber, Mörser sowie eine Sammlung von Utensilien und Waffen der Guerillas. Das Museum erklärt leider keine historischen Fakten oder Zusammenhänge. So bleibt es dem Betrachter überlassen, sich aus den vielen Fotos, Plakaten und Zeitungsartikeln ein Bild zu machen. Einige der Plakate und Artikel sind sogar aus Deutschland: („Solidarität mit dem Volke von El Salvador“ usw.).
Ein Artikel der ASTA TU Berlin ist besonders ernüchternd: er erklärt, dass in den achtziger Jahren zwei Drittel der Devisenerlöse El Salvadors durch Kaffeeexport erwirtschaftet wurden. Von diesem Geld wurde der Krieg gegen die eigene Bevölkerung finanziert. Einige Länder, wie die Niederlande, hätten aus Protest gegen die Menschenrechtsverletzungen den Kauf von Kaffee aus El Salvador fast vollständig eingestellt. Nicht so die BRD, welche die Importe zu dieser Zeit sogar erhöht hat. Alle großen deutschen Kaffeeunternehmen, wie Eduscho, Jakobs, Melitta, Tschibo und die Aldi Hausmarke nutzten El Salvadorianischen Kaffee in ihrer Mischung. Der deutsche Kaffee-Konsument hat somit indirekt den Krieg mitfinanziert.
Hintergrund des Bürgerkrieges war die ungleiche Verteilung von Landbesitz: 3% der Bevölkerung besaßen 54% des Landes. 430 000 Familien haben gar keinen Zugang zu Land gehabt. Die wenigen Großgrundbesitzer ließen auf allen verfügbaren fruchtbaren Böden Kaffeeplantagen errichten, weil sich dies besonders im Auslandsgeschäft rentierte. Die vielen Kaffeeplantagen ließen in einem Land, welches ungefähr so groß ist wie Hessen, nur noch wenig Raum für den Anbau von Lebensmitteln. Die Bauern wurden ihrer Lebensgrundlage entzogen und die Nahrungsmittel wurden knapp. Die Forderungen der Bauern nach einer gerechteren Umverteilung des Landes wurden mit unerbittlichen Repressionen beantwortet. Militär, Polizei und Todesschwadronen haben innerhalb von 10 Jahren 70.000 Menschen umgebracht. Die USA finanzierte zum großen Teil das El Salvadorianische Militär und unterstütze es mit Gerätschaft und Militärberatern. Der Staat El Salvador machte somit Schulden bei den USA, die er unmöglich abbezahlen kann und somit befindet sich El Salvador nun nach dem Bürgerkrieg in Abhängigkeit. Gabriel erzählte uns, das El Salvador mit Männern bezahlt, die in die US-Armee eingezogen werden und nun auf anderen Teilen der Welt für die USA kämpfen. Ob das stimmt konnten wir nicht herausfinden, was auch daran liegen mag, dass solche Dinge nicht unbedingt veröffentlicht werden. In folgendem Artikel wird von freiwilligen Söldnern unter anderem aus El Salvador berichtet, die für einen Billiglohn für die USA im Irak und Afghanistan in den Krieg ziehen.
http://www.stern.de/politik/ausland/panamericana-billiges-kanonenfutter-fuer-den-irak-3755990.html
Dem Museum ist ein altes Guerilla Camp angeschlossen. Im Wald können wir so den typischen Aufbau eines Camps begutachten: mehrere Tunnel, eine Untergrund-Radio-Station, Hängebrücken, eine Kochstelle und vereinzelte Zelte. Die Hospitalstation ist ein Zelt aus Ästen, abgedeckt mit schwarzer Plastikfolie. Die Innenausstattung besteht aus einer Pritsche und einem Infusionsbeutel. Die Infusionen beinhalteten damals Kokoswasser, Salz und Zucker. An zwei Ständen sind Waffen und Munition ausgestellt: alte Bomben, verschiedene Schusswaffen, Patronenmagazine, Granaten usw.. Ein Bombeneinschlagskrater zeugt von der Originalität des Schauplatzes. Eduardo, ein ehemaliger Guerilla Kämpfer führt uns durch die Außenanlage. Im Alter von 8-16 Jahren hat er selbst in dieser Gegend gekämpft. Die Hälfte der Guerilla Krieger waren Kinder und Jugendliche bis 20 Jahren.
Nach Absprache dürfen wir unser Zelt für eine Nacht für 2 USD auf dem Gelände hinter dem Museumsgebäude aufschlagen. So bleibt uns noch Zeit zum Mirador aufzusteigen, von dem aus wir einen Blick in die Berge von Honduras werfen können. Zum Abendbrot gibt es im Dorf Pupusas und ein kühles Pilsener auf dem sehr gepflegten Marktplatz, bevor wir uns ins Zelt verkriechen.
Am folgenden Tag besuchen wir einen weiteren Schauplatz des grausigen Bürgerkrieges: El Mozote. Vom 11.-13. Dezember 1981 fand in diesem Dorf ein Massaker unvorstellbaren Ausmaßes statt: alle der fast 1000 Dorfbewohner wurden ermordet. Die Gräueltat wurde von einem von der Regierung gesandtem und von US-Soldaten trainiertem Bataillon begangen, weil man fürchtete, dass die Kinder zu späteren Guerilla Kriegern heranwachsen könnten. Die Dorfbewohner sollten sich auf dem Hauptplatz versammeln und anschließend wurden Männer, Frauen und Kinder voneinander getrennt. Als erstes wurden die Männer ermordet, dann die Frauen und Mädchen vergewaltigt und ermordet und zum Schluss wurden die in der Dorfkirche eingesperrten Kinder und Babys getötet. Die Morde wurden mit Schusswaffen und Macheten begangen. Im Anschluss wurden die Gebäude in Brand gesetzt.
Heute erinnern Gedenktafeln an jede einzelne Familie mit Namen aller Ermordeten. Die damals circa 40 Jahre alte Rufina Amaya war einzige Überlebende und Zeugin, weil sie sich hinter Bäumen verstecken konnte. Die Frau, welche mit einem Mal ihre Familie und Gemeinschaft in der sie gelebt hat verloren hat und die Tötung ihres Mannes und ihrer vier Kinder von ihrem Versteck aus mit ansehen musste, hat sich noch jahrelang danach für die Angehörigen der Opfer eingesetzt. Eine Straße führt weiter hinter das Dorf wo nach wenigen Kilometern ein Denkmal des Friedens gesetzt wurde. In einem Kreis stehen Statuen von Botschaftern von Frieden und Menschlichkeit: dargestellt sind Mahatma Gandhi, Mutter Theresa, Martin Luther und der Papst. Die grüne Blümchenwiese, die zwitschernden Vögel und der strahlend blaue Himmel lassen den Ort, in dessen unmittelbarer Nähe damals Menschen abgeschlachtet wurden, heute idyllisch erscheinen. Mit schweren Gedanken verlassen wir El Mozote.
Wir wissen heute wieder nicht so richtig wo wir eigentlich hinwollen. In mehreren Städtchen halten wir an und überlegen ob wir bleiben oder weiter fahren sollen. So unentschlossen waren wir lange nicht. Schließlich entscheiden wir uns noch zur Laguna de Alegria weiterzufahren. Die Suche nach einer Unterkunft gestaltet sich dort als etwas schwierig. Das eine Hotel verlangt 16$ pro Person, was deutlich oberhalb unseres Budgets liegt, die andere Hospedaje hat zu und es laufen schon vier Backpacker umher die auch verzweifelt nach einer Unterkunft in dem kleinen Nest suchen. Beim umherfahren im Dorf schaue ich in einen Hinterhof und traue meinen Augen nicht: dort stehen die Bikes von Joey und Daniel. Erfreut über das spontane Wiedersehen tauschen wir uns zunächst etwas gegenseitig aus und die beiden geben uns noch den Hinweis auf eine Mission in der Nebenstraße, wo man auch einen Schlafplatz finden kann. Nachdem uns der Bruder ein Zimmer gezeigt hat und wir uns dort eingerichtet haben, statten wir den beiden auf dem Weg zum Abendbrot auf dem Dorfplatz noch einen Besuch ab. Innerhalb von einer Viertelstunde schaffen es die beiden uns dazu zu überreden, doch nach Kuba zu fliegen. Die beiden waren schon in so vielen Ländern auf allen Kontinenten unterwegs, dass wir ihnen einfach glauben müssen, dass Kuba einzigartig ist. Laut Daniel gibt es nichts Vergleichbares, es sähe dort aus wie im Film und sei mit einer Zeitreise vergleichbar. So setzen wir uns abends ins Kloster und buchen.
Die Laguna de Alegria im alten Vulkankrater stellt sich als mikrige Pfütze heraus die immerhin schön grün leuchtet und nach Schwefel riecht. Zum Abendbrot kochen wir gemeinsam mit Joey und Daniel das Gericht, welches sich in bisher allen bereisten Ländern einigermaßen authentisch herrichten ließ: Eier in Senfsoße.
Unsere letzte Station in El Salvador ist der Playa de Esteron. Am Strand finden wir einen Campingplatz, wo wir unter einem Strohdach 50 Meter vor dem Meer unser Zelt aufschlagen können. Auf ausgedehnten Strandspaziergängen finden wir Stranddollar (Überreste von Seeigeln mit symmetrisch angeordneter Zeichnung und Schlitzen), verschiedene Krabbenarten, und sogar zwei kleine Schildkröten. Als wir nach dem Abendbrot im Dunkeln zum Zelt zurückkehren, wartet dort eine dicke Überraschung auf uns: eine Monster-Erdkröte sitzt auf dem Zelteingang. Nachdem wir unser Heim zurückerobert haben, legen wir uns schlafen bis wir von Rascheln und Kratzen unterm Zelt geweckt werden. Am nächsten Morgen entdecken wir die Geräuschquelle: eine Krabbe stört sich an unserem Zeltboden, welcher ihren Höhleneingang überdeckt und versucht natürlich sich ihren Eingang wieder frei zu machen. Wenn wir das Zelt verschieben, stehen wir auf dem nächsten Krabbenloch, also hören wir uns die folgenden Nächte weiterhin den Krach der fleißigen Bauarbeiterin an. Es hört sich fast so an als würde sie mit ihren Scheren den Zeltboden bearbeiten.
Vom Campingplatz leihen wir uns zwei Kajaks um den Mangrovenwald El Esteron zu erkunden. Dazu müssen wir die Flussmündung überqueren. Da gerade Ebbe ist, ist das kein Problem. Auf dem Fluss treiben immer wieder alte Plastikflaschen, die wir einsammeln und hinten ins Kajak legen, damit wir sie später entsorgen können. Weiter tiefer in den Mangroven stoßen wir auf unzählige weiße Kraniche, die sich in den Bäumen tummeln. Wir würden gerne noch weiter den Fluss hinauf paddeln und uns noch ein wenig die skurrile Wurzellandschaft der Mangroven erkunden, doch müssen wir auch den ganzen Weg zurück paddeln. Auf dem Weg hinein in die Mangroven haben wir die Strömung, die uns unterstützt kaum wahrgenommen, anfangs hatten wir sogar leichte Gegenströmung. Kurz nach unserer Umkehr wurde uns klar, dass der Weg zurück kein Zuckerschlecken wird. Wir müssen mit all unserer Kraft gegen die nun verstärkt mit der Flut hereinkommende Strömung ankämpfen. Um Energie zu sparen, kreuzen wir immer auf die Flussinnenkurve und paddeln möglichst weit am Rand. Ab und an halten wir uns für eine Pause an einem Ast fest, um nicht gleich zurück zu treiben. Als wir endlich um die letzte Flussbiegung kommen, hören und sehen wir das Meer tosen, an der Stelle wo vorher die kleine Flussmündung war. Die Flut drückt nun ernstzunehmende Wellen hinein, die wir durchqueren müssen um zurück zum Strand zu gelangen. Die Wellen branden auf der anderen Seite an eine Felswand, was nicht sonderlich einladend aussieht. Die Alternative wäre, einige Stunden im Kajak auf Ebbe zu warten, da wir hier nirgends festen Boden betreten können. Wir müssen also durch dieses Wasser. Die Strömung ist stark und die Wellen sind zu groß für die kleinen Kajaks. Wir versuchen immer frontal durch die Welle zu stechen und uns bloß nicht seitlich überrollen zu lassen. Doch die Strömung drückt uns immer weiter in Richtung der kleinen Felswand, sodass sich fast Panik breit macht. Jeder ist auf sich gestellt und keiner kann dem anderen sinnvoll helfen. Immer einen Blick nach hinten wo Stephan nun bleibt, bin ich schon fast am rettenden Ufer angelangt, als mich doch noch eine Welle seitlich erfasst und mein Kajak unsanft umdreht. Boot und Paddel konnte ich in dem Gewühl gerade noch greifen, doch die Sonnenbrille ist weggespült. Die kleine Taschenkamera hatte ich zwar im Plastikbeutel verpackt, dennoch ist sie etwas feucht geworden. Später stellt sich heraus dass der Blitz nicht mehr funktioniert. Leider sind auch alle eingesammelten Plastikflaschen weggespült wurden. Das war mal wieder ein kleines Abenteuer, indem wir mit der Gewalt der Natur Bekanntschaft gemacht haben.
Posted in El Salvador by Ulli
El Salvador – San Salvador
07.-13.05.2015
Aus El Salvador kamen in letzter Zeit eher negative Berichte über den wieder ansteigenden Level der Gewalt. El Salvador und Honduras stehen ganz oben in der Liste der Länder mit den höchsten Mordraten. Verantwortlich dafür werden die beiden rivalisierenden Gangs Mara Salvatrucha 13 und Barrio 18 gemacht. Dementsprechend haben wir ein etwas mulmiges Gefühl, als wir uns am Morgen auf den Weg zur Grenze machen.
Auf unserer Fahrt von Antigua nach El Salvador wird es immer wärmer und die Landschaft immer grüner. Stephan übersieht einen Topes und überfährt diesen mit hoher Geschwindigkeit. Später entdecken wir die Beule in der Felge. Am Grenzübergang reihen sich kilometerlange Schlangen von LKWs. Bei der langsamen Zollabfertigung, wie wir sie später erleben, müssen diese wahrscheinlich mehrere Tage dort anstehen.
Die Ausreise von Personen und Bikes aus Guatemala geht recht schnell. Auch die Personeneinreise nach El Salvador ist mit einem Blick in den Pass erledigt. Auf Grund des C4-Abkommens der Länder Guatemala, El Salvador, Honduras und Nicaragua bekommen wir nicht einmal einen Stempel. Dafür erfordert das Einführen der Motorräder umso mehr Geduld. Was da so lange dauert ist uns unklar, denn außer uns warten nur wenige Truckfahrer, die von einem anderen Beamten bedient werden. Die Frau in dem unterkühlten Raum braucht Ewigkeiten um die Daten der Fahrzeugscheine in den PC aufzunehmen und die Papiere für die Bikes auszustellen. Für die vier Motorräder dauert der Prozess circa 3 Stunden. Als endlich alles erledigt ist, düsen wir schnell weiter bevor es dunkel wird, denn am Abend wollen wir gemeinsam mit Joey und Daniel deren Kontakt am Playa El Tunco treffen. Mit Einbruch der Dunkelheit und nach einer kurvenreichen Fahrt an der Küste erreichen wir endlich unser Ziel.
Gabriel, ein 21 jähriger El Salvadorianer und begeisterter Motorradfahrer, wartet schon auf uns. Nach dem Einchecken in ein kleines Hostel schlägt er vor, zu dem Haus seines Kumpels, welches an einem privatem Strand liegt, zu fahren. Dort gäbe es einen Pool und wir könnten uns es dort gemütlich machen. Wir sind nicht ganz so angetan von der Idee, da wir uns wieder in der Hitze in die Motorradklamotten quälen müssen und eine Heimfahrt im Dunkeln auf uns wartet. Aus den angesagten 5 Meilen Entfernung werden plötzlich mehr als 15, welche mit einer steilen Strecke über Kopfsteinpflaster enden. Der Pool ist leider doch nicht zu benutzen und so sitzen wir hinterm Haus und lauschen den Geschichten von Gabriel. Er hat eine Menge zu erzählen und wir wissen nicht so ganz wie viel jugendliche Übertreibung in seinen Geschichten steckt.
Wir treten die Rückfahrt in der Dunkelheit an. Eine Situation die wir in diesem Land in jedem Fall vermeiden wollten. Gabriel meinte jedoch die Straße sei durch Schutzgeld gesichert, welches die Politiker hier an die Banden zahlen, um den Tourismus zu erhalten.
Den nächsten Tag bleiben wir in dem kleinen Surfer Örtchen El Tunco. Es ist so heiß, dass wir uns kaum in der Lage fühlen aktiv etwas zu tun. Der Strand lädt nicht zum Baden gehen ein, den er ist flächendeckend übersät mit kindskopfgroßen Steinen, die vor einigen Tagen von der Flut angespült wurden. Daher ist hier kaum was los, normalerweise sollen sich die Besucher hier gegenseitig auf die Füße treten. So vergeht der Tag recht ereignislos. Wir schlendern vorbei an den Kleidershops, schreiben Blogeinträge und warten auf Gabriel, der am Abend wieder vorbeikommen wollte. Diesmal lassen wir uns nicht auf abenteuerliche Nachtfahrten ein, sondern gehen im Ort etwas essen.
Zum Schlafen ist es viel zu heiß, zumal wir in dem schmalen Bett kaum der Körperwärme des anderen entgehen können. Aufgrund der Hitze lassen wir uns vom Ventilator beföhnen, was wir am nächsten Tag prompt mit Halsschmerzen und in den Tagen später mit einer Erkältung bezahlen.
Gabriel lädt uns alle vier nach San Salvador in das Haus seiner Familie ein. Zuvor wollen wir allerdings noch unsere Hinterradreifen wechseln, da wir in Guatemala erfolglos waren. Wir hatten bereits vor einiger Zeit mit der Werkstatt Kontakt aufgenommen, die auch HEIDENAU Reifen vertreibt. Mit den voll beladenen Bikes fahren wir vor und tatsächlich, wie versprochen haben sie zwei der gewünschten Reifen vorrätig. Da die Mechaniker die Reifen nicht von der Felge bekommen, fahren sie mit unseren beiden Hinterrädern auf ihren Motorroller geschnallt zu einer befreundeten Werkstatt. Die Idee gefällt uns zunächst nicht so ganz, denn was ist, wenn die Räder abhandenkommen? Am Ende geht alles gut und mein Hinterrad ist nun auch wieder mit einem extra dicken Schlauch ausgestattet. Für das Zentrieren von Stepahns Vorderradfelge machen wir einen Termin für Montag, da dies heute leider nicht mehr möglich ist. Froh über den geglückten Reifenwechsel kann die Fahrt nun weiter gehen.
Gabriel führt uns zu einem Vulkan nahe der Stadt an dessen Kraterrand wir beinahe mit den Motorrädern ran fahren können. Der Vulkan ist nicht mehr aktiv, dennoch ist der Blick in den riesigen Schlund beeindruckend. Als ein Gewitter herannaht, werden wir etwas nervös, da wir den steilen und kaputten Kopfsteinpflasterweg hinuntermüssen, der im Regen glatt wird wie Schmierseife. Die Sorge war nicht unbegründet, denn prompt rutscht Stephan mit seinem Hinterrad weg und stürzt. Zum Glück ist nichts weiter passiert und die Fahrt geht weiter. Der Regen wird immer stärker, sodass wir bald komplett durchnässt sind und sich die Fahrt zu Gabriels Haus wie eine Ewigkeit anfühlt. Schon wieder fahren wir im Dunkeln, diesmal auch noch durch die von Gewalt gebeutelte Hauptstadt San Salvador. Wir trösten uns damit, dass bei dem Wolkenguss nicht einmal die Bandenmitglieder auf die Straße gehen.
Das Haus von Gabriels Familie ist etwas ungewöhnlich. Von der Straße gelangt man durch ein Schiebetor in eine große Halle. Unten befinden sich mehrere kleine Räume und ein großer Kühlraum für Käse. Das riecht man auch. Über zwei Treppen kann man am Rand der Halle hinaufsteigen und gelangt so zu Küche, Wohn- und Schlafzimmern. Alle paar Minuten springt ein Kühlaggregat an und sorgt für einen solchen Krach, dass man kaum sein eigenes Wort versteht.
Fünf völlig durchnässte Biker haben in der Halle zumindest die Gelegenheit die nassen Sachen abzulegen und abzutropfen. Gabriel besorgt für uns alle Abendbrot: Pupusas, das Nationalgericht El Salvadors. Es sind Fladen aus Mais- oder Mehlteig, die mit verschiedenen Zutaten wie Käse, Fleisch oder Gemüse gebacken beziehungsweise frittiert werden. Das war ein sehr leckeres Abendessen für umgerechnet 1,50€ pro Person.
Unser Schlafraum findet sich unten in der Halle gleich neben der Eingangstür für den Käseraum. Die Nächte dort kann ich kaum schlafen, denn mich quälen die Hitze, die Moskitos und die unbequeme Liegeposition auf dem Bett, da es so klein und unförmig ist, dass wir immer in der Mitte zusammen rutschen. Nicht zu vergessen der Gedanke an die Kakerlaken, die hier ab und an die Wände hochkrabbeln und das Kühlaggregat, welches alle 20 Minuten anspringt. Nach zwei dieser schlaflosen Nächte entschließe ich mich dazu, unser Zelt in einem der größeren ungenutzten Räume aufzustellen und komme so endlich wieder zu Schlaf.
Moskitos in Kombination mit Hitze können einen in den Wahnsinn treiben. In langen Sachen ist es wegen der Hitze kaum auszuhalten, in kurzen Sachen wird man ständig gepiesackt. Dabei reden wir nicht von zwei drei Mückenstichen. Wurde man innerhalb kurzer Zeit von mehreren dieser Mini-Biester gestochen, juckt es plötzlich am ganzen Körper und man möchte am liebsten in einen kalten Pool springen. An still sitzen und arbeiten am Computer ist jedenfalls nicht mehr zu denken und wir wissen eigentlich gar nicht so richtig wo hin mit uns. Abhilfe schaffen nur die Ventilatoren, die einen kühlen Wind erzeugen und gleichzeitig die Moskitos vertreiben. Lange können wir in dem Wind aber auch nicht sitzen, da wir uns dann wieder erkälten.
Wir wollen uns die Hauptstadt anschauen. Gabriels Familie rät uns davon ab zu Fuß zu gehen, denn es sei zu gefährlich. Also fährt uns unser Gastgeber bis ins Zentrum. Er ermahnt uns die Fensterscheiben oben lassen. Viele der Autos in Zentralamerika haben getönte Fensterscheiben. Selbst die Windschutzscheibe und die vorderen Seitenfenster sind stark getönt, was bei uns undenkbar wäre. Neben dem Sonnenschutz ist der Vorteil, dass niemand von außen sehen kann, wer oder wie viele Leute im Auto sitzen, was hier einen Sicherheitsaspekt darstellt.
Wir laufen eine Weile im Zentrum herum, fühlen uns alle aber nicht sonderlich wohl. Des Öfteren sehen wir mit Maschinengewehren bewaffnetes Personal von Polizei oder privaten Sicherheitsdiensten. Stacheldrahtzaun und Gitter vor den Fenstern scheinen in dieser Stadt allgegenwärtig. Überdurchschnittlich viele Betrunkene liegen auf der Straße. Die großen Kameras hatten wir gar nicht erst mitgenommen, und so machen wir ein paar Schnappschüsse mit unserer kleinen „Opfer-Kamera“. Auf dem Rückweg geht ein aufdringlicher Mann auf mich und Joey zu und besteht darauf uns die Hand zu schütteln, um uns zum internationalen Frauentag zu gratulieren. Es ist vielleicht dem Wissen um die vielen Gewalttaten die hier passieren geschuldet, dass wir bei solchen Geschehnissen sehr misstrauisch sind. Dennoch vertrauen wir lieber unserem Gefühl und gehen zurück zum Auto.
Wir fahren an Wohnvierteln oder besser gesagt Ghettos vorbei, in denen laut Gabriel viele Bandenmitglieder wohnen. Die mehrgeschossigen Wohnhäuser stehen so eng beieinander, dass sich die Leute der gegenüberliegenden Balkone die Hand schütteln könnten. Wir sehen zumindest keine Tätowierten und somit bleibt es bei dem was sich unsere Fantasie ausmalt. 500 Meter nachdem wir diese Häuser passiert haben, qualmt es aus der Motorhaube von Gabriels Auto. Der Motor geht aus und wir bleiben auf der Kreuzung liegen. Mehrere Startversuche schlagen fehl. Kein guter Ort, kein guter Zeitpunkt. Das wäre schon ein Grund nervös zu werden, denn zu Fuß zu gehen oder gar per Bus weiter zu fahren ist in dieser Gegend keine gute Idee. Nach einiger Zeit springt der Wagen zum Glück wieder an und wir schaffen es bis zum Plaza El Mundo Salvador zu tuckeln. Dort geht der Motor ein zweites Mal aus und wir schieben das Auto auf einen bewachten Parkplatz. Wir fahren mit dem Bus nach Hause und verzichten für diesen Tag auf weitere Ausflüge in die Stadt.
Schlechte Neuigkeiten
Wir haben die Nachricht bekommen, dass die Fähre, mit welcher wir das Darien Gap überwinden wollten, ihren Dienst eingestellt hat. Das sind schlechte Neuigkeiten, denn nun stehen wir wieder vor der Frage: wie kommen wir von Panama nach Kolumbien? Die beiden Länder sind zwar durch Land verbunden, doch es fehlen circa 80km Straße durch den dichten Urwald. Zusätzlich gibt es in dem Gebiet Probleme mit Guerillas (FARC). Es gibt keinen regelmäßigen Schiffsverkehr, so bleiben uns nur die Optionen Luftfracht, Containerverschiffung oder eines dieser Segelboote zu suchen, um unsere Bikes nach Südamerika zu bekommen. Dies macht die Sache deutlich unentspannter, da alle Optionen teuer sind und / oder lange Vorausplanung benötigen. Die Fährtickets hätten wir einfach vor Ort gekauft und am nächsten Tag wäre es losgegangen. Nun müssten wir uns in Panama ein Segel-Boot suchen welches auch Motorräder mitnehmen kann und will. Das ist aus der Ferne nicht so einfach, aber vor Ort wollen wir auch nicht erst anfangen zu suchen, denn dies kann Wartezeiten von mehreren Wochen bedeuten. Wir durchforsten also das Internet und fragen verschiedene Boote an. Zwei davon sind in der Zwischenzeit gesunken (sehr ermutigend) und von einem anderen Kapitän haben wir erfahren dass kaum noch jemand Motorräder mitnimmt, da sich die Zollabfertigung in Kolumbien verschärft hat. So bleibt unser letzter Hoffnungsschimmer die Stahlratte. Die Überfahrt mit diesem hundert Jahre altem Segelschiff ist auf Grund der Größe des Schiffes, der langjährigen Erfahrung mit der Mitnahme von Bikes und der inklusive Karibikkreuzfahrt die sinnvollste Option für uns. Preislich liegt der Trip dreifach über dem der Fähre, aber immer noch unterhalb der uns noch verbleibenden Optionen. Kurzerhand buchen wir unsere Mitfahrt auf der Stahlratte, denn die Nachricht mit dem Wegfallen der Fähre spricht sich unter den Motorradreisenden schnell herum und wir wollen nicht riskieren, dass wir keinen Platz mehr bekommen. Nachteil: wir sind nun terminlich gebunden und der erste Termin in der nahen Zukunft ist der 17. Juli… wir müssen also die Zeit in Zentralamerika absitzen und so wird unsere ursprüngliche Reisezeitplanung vollends über den Haufen geworfen. Das Gute dabei ist, dass wir unsere Freunde Joey und Daniel bei der Überfahrt wieder sehen werden, da sie ebenfalls gebucht haben.
Nun trennen sich aber zunächst unsere Wege und die beiden fahren weiter, während wir noch zwei Tage länger bei Gabriel in San Salvador bleiben um ein paar Dinge zu erledigen. Nach fast 2 Monaten gemeinsamen Reisen fällt der Abschied schon etwas schwer.
Wir wollen Stephans Vorderradfelge zentrieren lassen um sein kleines Andenken an die guatemaltekischen Topes (geschwindigkeitsreduzierende Buckel auf der Straße) loszuwerden. Zum Bringen und Abholen müssen wir jeweils quer durch ganz San Salvador fahren, wovon wir nicht sonderlich begeistert sind. Bevor wir aber von neuem jemanden suchen müssen, der Speichen zentrieren kann und da wir noch den Weg durch Südamerika vor uns haben, lassen wir es lieber gleich machen und quälen uns mit den Bikes durch den Verkehr.
Am nächsten Tag machen wir einen Tagesausflug zum Nationalpark Cerro Verde wo sich der Vulkan Santa Ana befindet und wollen dort eine Wandertour zum Kraterrand machen. Leider verpassen wir um 15 Minuten die geführte Tour, welche um 11 Uhr startet, da wir morgens noch eine Apotheke gesucht haben um einen Hustensaft für Stephan zu finden. Der einzige Wachpolizist vor Ort bietet uns an, uns zwar nicht zum Krater zu führen, aber bis zu Aussichtspunkten auf den Vulkan und den Lago de Coatepeque. Er führt uns durch den Wald und erklärt uns überraschend viel über die dortige Flora und Fauna. Der kleine Ausflug endet an einem verlassenen Hotel. 187 Jahre lang hat der gegenüberliegende Vulkan Izalco kontinuierlich und fast täglich bilderbuchartige Eruptionen von sich gegeben, welche man vom Ort des entstehenden Hotels aus beobachten konnte. Im Jahre 1958, zwei Wochen vor Fertigstellung des großen Komplexes stellte der Vulkan seine Aktivitäten ein und das Hotel wurde nie fertiggestellt, denn die Hauptattraktion ist bis auf ungewisse Zeit verschwunden. Das Hotel steht bis heute gespenstig leer.
Unseren letzten Tag in San Salvador verbringen wir mit Internet Recherche. Da wir auf Grund des Termines mit der Stahlratte nun viel Zeit haben, um Panama City zu erreichen, spielen wir mit dem Gedanken die Zeit für einen Abstecher nach Kuba zu nutzen. Für uns wäre es bestimmt ein interessantes Erlebnis, da auf Kuba der Sozialismus noch lebt und es sicherlich einige Parallelen gibt, zu dem Land, in dem wir geboren worden (DDR). Jetzt, wo sich die Beziehungen zwischen den USA und Kuba entspannen, bricht eine neue Ära an, die das Land schnell verändern könnte. Es wäre vielleicht die letzte Gelegenheit, das Land in seinem jetzigen Zustand kennen zu lernen, bevor der erste McDonalds dort einzieht. Noch hadern wir allerdings mit uns, da die Reisekasse dadurch nicht unerheblich belastet würde.
Wir verbringen unseren letzten Abend mit Gabriel, den wir in den letzten Tagen ja ein wenig kennengelernt haben. Für sein Alter hat er schon viele schlechte Dinge erlebt, wie zum Beispiel zwei Morde durch Schusswaffen direkt vor seinen Augen. Er träumt von seiner eigenen Weltreise mit dem Motorrad und hat schon viele Ideen zur Umsetzung seines großen Projektes. Entsprechend löcherte er uns mit vielen Fragen, auf die wir zum Teil selbst keine Antwort wissen. Er ist ein unverbesserlicher Optimist und wir sind gespannt welche seiner interessanten Ideen er wirklich mal umsetzen wird.
Im Allgemeinen haben wir uns in der Hauptstadt San Salvador, außerhalb des Hauses von Gabriel, nicht sonderlich wohl gefühlt. Die verschärften Sicherheitsmaßnahmen der Einheimischen wie bewaffnetes Wachpersonal vor Supermärkten, zum Teil doppelte Stacheldrahtrollen über jeder privaten Mauer und auf den meisten Gebäuden, Gitter vor jedem Fenster und menschenleere Straßen nach Einbruch der Dunkelheit, lassen auf ernstzunehmende Gefahren schließen. Als wir mit Gabriel abends zum Essen draußen saßen, führte der Knall der Fehlzündung eines Autos dazu, dass sich die Wirtin aus Angst vor einer möglichen Schießerei schon halb auf den Boden warf. Gabriels Familie empfiehlt uns in ihrem Viertel nicht allein durch die Straßen zu gehen, selbst tagsüber. Also unternehmen wir keine, wie wir es sonst tun würden, Spaziergänge durch die Nachbarschaft und lernen die Stadt nur durch den Blick aus dem Auto oder vom Motorrad aus kennen. Bei den Reifenbuden um die Ecke empfangen wir subjektiv empfunden, argwöhnische oder unfreundliche Blicke. Viele Teile der Stadt wirken im Allgemeinen trostlos und abgeranzt. Im Gegensatz dazu steht auf der anderen Seite der Stadt eine supermoderne Einkaufsmall, zu der wir fahren müssen, damit wir Geld mit der Kreditkarte abheben können.
Warum ist die Situation hier so angespannt? Die konkurrierenden Banden Barrio 18 und Mara Salvatrucha 13 lassen ein normales Leben in dieser Stadt nicht zu. Die Gewaltbereitschaft dieser Jugendbanden ist extrem hoch. Untereinander ermorden sie sich skrupellos.
Die Bandenkultur hat sich zunächst außerhalb El Salvadors in den USA entwickelt, hauptsächlich in L.A. Bürgerkriegsflüchtlinge aus vielen Lateinamerikanischen Staaten sind in die USA emigriert. Banden wurden zunächst gegründet um sich vor anderen Banden zu schützen. Gründe für den exzessiven Ausbruch der Gewalt waren Armut, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit.
Mitte der 90er Jahre wurde in den USA die „Null Toleranz Strategie“ durchgesetzt. Flüchtlingskinder konnten nach Begehen einfacher Straftaten wie Diebstahl sofort in ihr Heimatland abgeschoben werden. Plötzlich gab es tausende junge EL Salvadorianer, die zurück ins Land strömten und dort keine Familie mehr hatten. Die Gangs formierten sich nun in El Salvador und bieten ihren Mitgliedern Schutz und weitere Annehmlichkeiten. Doch zwei Gangs konkurrieren besonders untereinander und die Hemmschwelle sich gegenseitig umzubringen ist gering. In El Salvador leben circa 40.000 Gangmitglieder, die meisten von ihnen haben als Markenzeichen Tatoos, oftmals am ganzen Körper oder sogar im Gesicht. Wir sind glücklicherweise keinem von denen begegnet. Laut Gabriel hätten wir als Ausländer nicht viel zu befürchten, solange wir die eventuell geforderte „Spende“ bezahlen. Wie hoch diese sein muss und was die Konsequenzen sind, wenn man nicht „spendet“, ist eine andere Frage. Der Großteil der Mitglieder sind Kinder ab circa 7 Jahren und junge Erwachsene im Alter von bis zu 25 Jahren. Die Ältesten sind meistens die Anführer, doch der Nachwuchs geht über Leichen um selbst Anführer zu werden und schaltet Konkurrenz und Bosse hinterrücks aus. Da man aus einer Bande nicht aussteigen kann, ohne ebenfalls sehr wahrscheinlich von den eigenen Leuten umgebracht zu werden, ist die Lebenserwartung eines B18 oder Mara Salvatruchas nicht sonderlich hoch.
Gabriel erzählt uns einiges über die Aufnahmeprüfungen, die so gruselig sind, dass wir es kaum glauben können. Zum Beispiel muss sich ein B18 Anwärter, einer 18 Sekunden langen Prügelattacke in der Mitte eines Kreises von anderen Gangmitgliedern unterziehen. Hat er das geschafft, bekommt er einen Mordauftrag. Gelegentlich sind die Opfer Familienmitglieder des Anwärters. Ist der Auftrag erledigt und von einem anderen Mitglied bezeugt, ist man Clubmitglied. Die Banden finden weiterhin großen Zulauf, da sie den Kindern und Jugendlichen mehr bieten können, als die eigene verarmte Familie. Die Banden kontrollieren viele private Geschäfte und Unternehmen, indem sie Schutzgelder einfordern und sich damit finanzieren. Weitere Einnahmequellen sind Waffenhandel, Menschenhandel, Prostitution usw. Die MS 13 hat sich auch in anderen Zentralamerikanischen Ländern und den USA formiert und hat ein großes länderübergreifendes Netzwerk.
Derzeit finden in El Salvador, ein Land mit der doppelten Einwohnerzahl von Berlin (7 Millionen), im Durchschnitt 16 Morde pro Tag statt. Auch wenn wir als Nicht-Gangmitglieder nicht zu den potenziellen Mordopfern gehören, sind diese Zahlen und Geschichten Anlass genug für uns, ständig unsere Umgebung zu scannen und den Empfehlungen der Einheimischen zu folgen.
Posted in El Salvador by Ulli
Ort mit viel Wasser und die verflixten Umlenkhebel
24.04. – 06.05
Es ist Freitag und wir sind bereits zwei Wochen in Xela bei Diego, Sergio, Miriam und Lorinda. Eine Woche lang haben wir unsere Spanischkenntnisse in einer Sprachschule aufgebessert. In der zweiten Woche haben wir gemeinsam mit Greg, Daniel und Joey die Gegend um und in Xela erkundet. Wie man aus den vorrangegangenen Blogeinträgen unschwer erkennen kann, war uns nicht langweilig. Heute packen wir aber unsere Sachen und fahren mit unseren Teneres ein letztes Mal die Stufen aus dem Haus unserer Gastgeber und machen uns gemeinsam mit Joey und Daniel auf den Weg zum Lago de Atitlán.
Bevor wir aber die Stadt verlassen, fallen wir noch einmal bei unserer heißgeliebten Bäckerei ein und versorgen uns mit etwas Proviant. So ausgestattet, können wir die weniger als 80 vor uns liegenden Kilometer entspannt angehen. Kurz nachdem wir die Stadt passiert haben, gelangen wir auf die CA1 und fahren somit zum ersten Mal während unserer Reise auf der offiziellen Panamerika. Die wird hier als Interamericana bezeichnet und ist hervorragend ausgebaut. Wir kommen schnell voran, aber einige Fahrer scheinen es noch eiliger zu haben und schießen förmlich an uns vorbei. Dabei spielt es keine Rolle ob es ein PKW, ein Bus (egal welcher Größe) oder ein dicker Truck ist. Allesamt scheinen mit dem Bleifuß auf dem Gas ins bevorstehende Wochenende zu rasen oder vielleicht auch gegen den nächsten Baum. Oftmals können wir hier nur noch mit dem Kopf schütteln. Aber der Verkehr südlich der USA ist ein Kapitel für sich…
Nach einigen Kilometern verlassen wir die Panamericana wieder und sind deutlich langsamer unterwegs, da die Straßenbedingungen wieder schlechter werden. Was zum Beispiel Busfahrer scheinbar nicht mitbekommen oder diesem Umstand keine Beachtung schenken. Sie rasen nach wie vor an uns vorbei. Nach einigen Kilometern geht es dann nur noch im Zickzack die Serpentinen runter zum See Atitlán dessen Name Ort mit viel Wasser bedeutet. Dieser See ist von den drei Vulkanen Tolimán, Atitlán und San Pedro umgeben. Diese drei Vulkane bieten gerade in den Morgenstunden ein beeindruckendes Panorama. Später zieht die Sicht zu und man kann die Vulkane nur noch erahnen. Nach dem Einkauf auf dem Markt in San Marcos lassen wir den Tag beim gemütlichen Abendessen auf einem Campingplatz mit Seezugang entspannt ausklingen.
Am nächsten Tag kommt uns Greg mit seiner KTM besuchen. Alle zusammen fahren wir mit einem Boot über den See nach San Pedro. Die Boote verkehren hier wie Taxis oder Busse und holen uns direkt vom Steg unseres Domizils ab. An der nächsten „Haltestelle“ treffen wir auf einen alten Bekannten: es ist Rajiv, der Fahrradfahrer den wir in Kanada kennengelernt und bereits in Puebla (Mexiko) wiedergesehen haben. Hier sieht man wieder mal wie langsam wir sind oder wie schnell er ist. Leider haben wir gar keine Zeit uns zu unterhalten, da er gerade sein Boot verlässt und an Land geht und wir auf dem Weg nach San Pedro sind. So bleib es bei einem kurzen „Hallo“. Eigentlich wollten wir uns schon einen Tag vorher treffen, aber auch das hat nicht so richtig geklappt. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass wir Rajiv nicht zum letzten Mal gesehen haben.
Wenig später kommen wir an der Bootsanlegestelle von San Pedro an. Das Örtchen ist touristisch stark erschlossen und vermutlich Anlaufstelle vieler Backpacker. Besonders in der Nähe der Anlegestelle reiht sich ein Souvenirgeschäft und Restaurant an das nächste. Wir kämpfen uns dank einer besonders empfehlenswerten App für Reisende, der iOverlander App, etwas weiter in den Ortskern voran, um uns ein paar leckere – in der App empfohlene – Sandwiches zu gönnen. Diese gibt es zwar nicht wie in der App beschrieben im Doppelpack, aber sie schmecken trotzdem sehr gut. Leider bleibt uns kaum Zeit noch um dieses Örtchen ausgiebig kennenzulernen, denn wenn es Abend wird und die letzte Fahrt ansteht sind die Boote bis zum Anschlag gefüllt und man muss zusehen, dass man noch einen der Plätze für den Weg zurück bekommt. Wir schaffen es noch rechtzeitig und haben alle einen Platz auf dem Boot ergattert. Den Tag lassen wir dann mit Gegrilltem und einem leckeren Schokoladenfondue ausklingen. Mit „Sauren Eiern“ verabschieden wir am Sonntag Greg und versuchen ihn ganz nebenbei zu überreden, dass wir uns in Kolumbien wiedersehen. Viel Hoffnung macht er uns allerdings nicht. Den Rest des Tages nutzen wir zum Entspannen und arbeiten auch mal wieder an unserem Blog.
Am nächsten Tag erkunden wir gemeinsam mit Joey das Dorf Santa Cruz. Auf der Suche nach einem schönen Aussichtpunkt quälen wir uns die lange Straße hinauf ins Dorf. Der schöne Ausblick bleibt uns allerdings verwehrt, das macht aber nichts, da wir unterwegs mit vielen natürlichen Szenen aus dem Leben der Dorfbewohner verwöhn werden. Santa Cruz ist eben noch nicht ganz so touristisch erschlossen wie San Pedro. So lassen uns zum Beispiel zwei Frauen daran teilhaben, wie sie auf traditionelle Weise Stoffe weben. Auf dem Kirchplatz gönnen wir uns eine kleine Auszeit und schauen uns ein Fußballspiel der Mädchen der umliegenden Dörfer an. Ein Kirchplatz als Bolzplatz oder Basketball Court, in Deutschland unvorstellbar, aber hier haben wir derartige Kombinationen schon oft gesehen.
Nach einem Bad in See und einer Fotosession mit Zelt und Bikes vor dem Vulkan, brechen wir auf. Es geht dieses Mal im Zickzack die Straße hinauf und später wieder auf die Panamericana. Unser Ziel ist Antigua. Leider ist es hier gar nicht so einfach einen Platz für uns und unsere Bikes zu finden. Es ist eben schon etwas anderer wenn man zu viert unterwegs ist. Ein Platz für vier Personen ist kein Problem aber einen sicheren Stellplatz für vier Reisemotorräder ist schon was anderes. Nachdem wir die Bikes abgestellt haben, schwärmen Ulli, Joey und Daniel aus um eine passende Unterbringung zu finden. Ich bleibe bei den Bikes uns passe auf, dass nichts wegkommt. Nachdem alle wieder zurück sind, vergleichen wir die Angebote und entscheiden uns für das für uns Beste.
Da es meiner Tenere immer noch an ausreichend Bodenfreiheit fehlt und jeder Topes eine Herausforderung ist, haben wir uns die originalen Umlenkhebel der Tenere nach Antigua schicken lassen. Die Lieferung wurde direkt zu unserem nächsten Hilfsprojekt geschickt, ist aber nach gut einem Monat immer noch nicht am Ziel bei Billy von der EducArte Stiftung angekommen.
Das Projekt EducArte
Bereits in Mexiko Stadt haben wir den Kontakt zu Billy Ochoa hergestellt, um unseren Besuch in Antigua bei dem Gemeinschaftszentrum EducArte abzusprechen. Dass sich unser Besuch, auf Grund einer Ersatzteillieferung sowie einer Erkrankung, noch so lange hinziehen würde, konnten wir damals noch nicht wissen. So treffen wir uns erst einige Monate später, am 03.05.2015, mit Billy.
Ein wichtiges Anliegen der nichtstaatlichen Organisation EducArte ist es, die soziale Gerechtigkeit durch Bildung voranzutreiben. Der Focus liegt auf sozial-schwachen Familien in Ciudad Vieja (fünf Kilometer von Antigua entfernt). EducArte sieht dabei die Bildung als Grundstein der gesellschaftlichen Entwicklung. Dazu gehört auch, dass das Verständnis für Vielfalt und Respekt von Unterschieden aller Arten gefördert wird.
Wir möchten diesen Einsatz unterstützen, denn auch wir sind uns sicher, dass Bildung und das Verständnis für Vielfalt ein wichtiges Element in unserer heutigen Gesellschaft darstellen sollte. Gemeinsam mit Billy gehen wir also einkaufen.
Dieses Mal vielleicht ein paar Dinge, die auf den ersten Blick nicht nach den üblichen nützlichen Dingen aussehen, was uns zugegeben etwas Kopfzerbrechen macht. Denn nicht umsonst möchten wir mit Sachspenden und nicht mit Geld unterstützen, damit die Hilfeleistung auch an den richtigen Stellen ankommt.
Ein Drucker und eine Nähmaschine sind zwar Sachspenden, können aber auch sehr einfach für private Zwecke genutzt werden, von denen die zu Unterstützenden nichts haben. Ich finde es sehr schade, dass wir immer wieder dieses Misstrauen entwickeln, was absolut nichts mit Billy oder EducArte zu tun hat. Leider sieht man immer wieder, wie gute Aktionen zum Vorteil Weniger ausgenutzt werden oder große Wasserköpfe von Organisationen, welche sich Hilfeleistungen welcher Art auch immer auf ihre Fahnen schreiben, große Teile der Spenden erst mal für ihre Selbstorganisation ausgeben.
Aber Billy erklärt uns sehr detailliert wofür diese Anschaffungen primär genutzt werden sollen. Mit einer Nähmaschine will man Taschen und Beutel herstellen, die im täglichen Leben an die Aktionen und Werte der Organisation erinnern und durch den Verkauf die Vorhaben von EducArte unterstützen. Ein Drucker soll bei der Erstellung von Flyern und Plakaten behilflich sein und somit die Bekanntheit der Organisation erhöhen.
Gern hätten wir uns die Arbeit von Billy und den anderen vor Ort angeschaut, aber leider war dies für uns zeitlich nicht mehr möglich.
Unser Problem mit den Umlenkhebeln besteht leider immer noch, sodass wir nach Alternativen suchen. Denn schließlich können wir hier nicht ewig auf das Paket warten, da irgendwann auch mal unser Visa ausläuft.
Da wir von der einen Tenere die originalen Umlenkhebel haben, kommen wir zu der Idee diese nachbauen zu lassen. Ulli stellt einige Hochrechnungen an, welches Material in Frage kommt. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir hier auf Anhieb jemanden finden, der uns die Teile aus hochfestem Stahl anfertigt ist eher gering, sodass sie die Rechnung mit einem der „schwächsten“ Stähle überschlägt. Laut Rechnung könnte das funktionieren. Unser Problem hat sich auch schon beim Personal des Hostels herumgesprochen. Eine der Angestellten (Maribel) kennt jemanden, der mit Metall arbeitet und nach einem Anruf sehen die Chancen vielversprechend aus. Zuvor sind wir auch Alternativen, wie zum Beispiel den Bau der Teile aus Schraubenschlüsseln, die aus gehärtetem Stahl bestehen oder dem Kürzen der anderen Umlenkhebel, durchgegangen. Aber dies schein nun Hand und Fuß zu haben. Gemeinsam mit Maribel geht es also nach Guatemala City, wie sich herausstellt zu einem Freund ihres Vaters, dessen Werkstatt unweit von Haus ihrer Eltern liegt. Mit ihm besprechen wir noch einmal detailliert unsere Anforderungen. Nickend nimmt er die originalen Umlenkhebel als Muster entgegen und meint, dass diese morgen fertig sind. Und es kommt noch besser. Maribel lädt uns zum Abendessen bei ihren Eltern ein. Nachdem wir wieder zurück im Hostel sind, geben wir ihr wie vereinbart 200 Quetzales, war umgerechnet rund 22 Euro entspricht und eigentlich eine Art „Lohnausgleich“ sein soll, da wir zuvor dachten, dass wir mit ihr einen halben Tag nach einer geeigneten Werkstatt suchen. Das ist zwar ein stolzer Preis, wenn man bedenkt, dass wir mit einem Bus oder den Motorrädern auch zu der Adresse hätten fahren können, aber wenn alles klappt ist es uns die Sache allemal wert, da Guatemala Stadt nicht gerade als sicheres Pflaster bekannt ist.
Am nächsten Tag gibt sie uns Bescheid, dass sie die Teile erst einen Tag später am Freitag bekommen. Alles kein Problem, wir liegen noch gut in der Zeit und können den Donnerstag für organisatorische Dinge nutzen. Am Freitag ist es dann so weit, wir bekommen die nachgebauten Umlenkhebel. Diese machen auf den ersten Blick einen guten Eindruck, doch bei genauerem Hinsehen fällt uns schnell auf, dass das Metall alles andere als gehärteter Stahl ist, wie be- und versprochen. Aber auch das ist hoffentlich kein Problem, da wir ja bereits festgestellt haben, dass es auch mit normalem Stahl gehen müsste. Dennoch, die Vereinbarung war eine andere. Aber was jetzt kommt, schlägt dem Fass den Boden aus. Maribel möchte noch einmal 200 Quetzales dafür, dass sie die Teile abgeholt hat. Bei unserer ersten Fahr, hat sie uns noch gesagt, dass sie mindestens drei Mal die Woche zu ihren Eltern fährt, was mit Sicherheit auch an diesem Tag der Fall war. Diese Absurdität zeigt uns wieder einmal wie wir hier gesehen werden: als reiche Touristen. Wir denken nicht einmal daran zu bezahlen, da dies in keinem Verhältnis steht. Für die nachgemachten Umlenkhebel haben wir 300 Quetzales bezahlt und für das Bringen und Abholen sollen wir 400 Quetzales bezahlen. Sie lässt sich erst mal nicht mehr blicken. Wir bauen die Teile ein. Zur Sicherheit kommt in jede Tenere ein guter und ein schlechter Umlenkhebel, in der Hoffnung, dass so der schwächere nicht so stark beansprucht wird.
Am Nachmittag kommt eine Lieferung aus Xela. Greg ist da und hat uns Apfelpfannkuchen aus unserer dortigen Lieblingsbäckerei mitgebracht. Da der 1. Mai auch hier ein Feiertag ist, müssen wir alle zusammen in einen 5er-Dorm ziehen. Das hat man uns natürlich nicht gesagt, als man uns die Zimmer angeboten hat. Vergessen? Wir sind alle etwas sauer, aber was solls, davon lassen wir uns das Wochenende nicht vermiesen. Der extra Umzug für nur einen Tag mit all unseren Sachen nervt dennoch.
Da meine Tenere nun einige Zentimeter höher ist, muss auch der Seitenständer verlängert werden. Dies lassen wir bei einer der Zahlreichen Werkstätten hier machen und geben den originalen Ständer gleich mit, damit sie nichts falsch machen können. Und was will man mehr nach gut 2 Stunden ist das Werk vollbracht. Nicht schön aber selten. Am späten Nachmittag brechen Daniel, Greg und ich auf für eine kleine Ausfahrt mit den Bikes. Es geht nach Hobbitenango, einer kleinen Unterkunft hoch in den Bergen. Von hieraus wollen wir den Sonnenuntergang genießen, aber leider vermasseln uns dicke Wolken dieses Erlebnis.
So zeitig wie schon lange nicht mehr quälen wir uns aus den Betten. Es ist 5 Uhr und wir machen uns startklar für eine Tour zum Vulkan Pacaya. Er ist einer der aktivsten Vulkane der Welt. 1965 hatte er seine letzte größere Eruption, ist aber seit dem fast täglich aktiv. Wir wollen uns das Ganze mal genauer ansehen und haben eine Tour zum Vulkan bei einem der vielen Reiseveranstalter hier gebucht. Aber immerhin reicht die Wärme des Gesteins zu rösten Marshmallows. Beim Aufstieg sehen wir die Ausmaße der erkalteten Lavaströme der letzten Eruptionen bis wir irgendwann selbst über diese laufen. Leider führt uns die Tour nicht wie gedacht an den Kraterrand. Gern hätten wir mal die glühende Lava gesehen.
Bevor die Sonne aufgeht, stehen wir auch am Montag auf. Wir wollen raus in die Stadt um einige Fotos zu schießen. Um diese Zeit sind kaum Menschen auf den Straßen und das Licht der aufgehenden Sonne hat einen ganz besonderen Scharm, wenn sie trotz der morgendlichen Kälte alles in einen warmen Farbton hüllt. Weniger schön sind die umherfahrenden Busse, die Auspuffgasen die gesamte Straße einnebeln. Langsam erwacht das Städtchen und immer mehr Menschen kommen auf die Straßen. Dies bedeutet für uns, dass wir den Rückwegantreten und uns auf das Frühstück freuen.
Am Montag erreicht uns eine äußerst freudige Meldung. Billy hat das Paket mit unseren Teilen bekommen. Wir treffen uns nochmals in der Stadt und übernehmen die lang ersehnte Fracht. Nach wenigen Minuten haben wir die hier angefertigten Teile ausgetauscht und sind mehr als nur erleichtert. Jetzt können wir wieder ohne Bedenken über Topes und durch Schlaglöcher fahren. Meine Tenere fühlt sich nun fast wie ein anderes Bike an, so unterschiedlich ist das Fahrgefühl. Vorher war sie butterweich und ich kam mir mit der Tieferlegung von Ullis Maschine manchmal vor wie auf einem vollbepackten Schopper. Topes waren der Horror, da ich erstens stark abbremsen musste und manchmal dennoch gefahrlief mit der Federung durchzuschlagen. Diese Tage sind nun endlich Vergangenheit.
Fazit: Wer mit der Tenere richtigen Fahrspaß will, lässt die Finger von der Tieferlegung!
Posted in Guatemala, Stiftung für Helfer by Krad Wanderer
Spanischunterricht und bedrohliche Begegnung
10. – 24.04. 2015
Auf dem Weg nach Quetzaltenango, auch Xela genannt, haben wir es wieder mit guatemaltekischen „Strassen“ zu tun. Unsere gewählte Route entpuppt sich als erdige Nebenstraße, welche hier arg unter Witterung leiden. Mein Vorderrad springt in den tiefen Spurrillen nur so hin und her. Besonders die Kombination aus Spurrillen, losem Untergrund, Steigung, Kurve und möglichem (rücksichtslosem) Gegenverkehr in Einem machen uns beim Fahren zu schaffen. Das Vorderrad unserer bepackten Teneres ist einfach viel zu leicht, worunter die Manövrierfähigkeit der Bikes erheblich leidet. Zugegeben bin ich froh, als wir nach einigen Kilometern wieder auf asphaltierte Strasse stossen, denn 40km auf solch einer Strecke hätten uns mehrere Stunden und viel Kraft gekostet, besonders in der Hitze.
Um unsere Spanischkenntnisse zu verbessern wollen wir in Xela einen Sprachkurs belegen. Diese Kurse werden in Guatemala günstig und vielfach in Verbindung mit einem Aufenthalt bei einer Gastfamilie angeboten, um das Lernen der Sprache zu intensivieren. Wir und die anderen beiden finden in Quetzaltenango jeweils eine Familie, bei der wir auch die Motorräder notdürftig parken können.
Stephan und ich kommen bei den beiden Brüdern Sergio und Diego, beide Anfang zwanzig, unter. Die Mutter ist gerade in den USA um die Schwester zu besuchen. Wir haben unser eigenes Zimmer und werden des Öfteren von den Katzen und Hunden besucht. Da die Schule erst am Montag losgeht, unternehmen wir mit Sergio und seiner Freundin einen Ausflug zu einem Vulkanberg, der sich „La Muela“ nennt. Nach einer Stunde Aufstieg erreichen wir die Spitze und haben einen grandiosen Aufblick auf die Stadt und die umliegenden Berge.
In den heißen Quellen der „Fuentas Georginas“ wollen wir am Sonntag entspannen. Die Fahrt in die Berge auf der Ladefläche eines Pickups führt uns vorbei an den Gemüsefeldern in Hanglage, wo gerade Möhren, Zwiebeln, Kartoffeln und anderes Gemüse geerntet werden. Der frische Duft trägt zu diesem Fahrerlebnis bei, bevor wir uns dann immer höher auf den Berg schrauben und in die Nebelfelder eintauchen. Oben wird es richtig kühl, sodass uns schon der Kopf weh tut, der die ganze Zeit dem Fahrtwind ausgesetzt ist. Das warme Bad können wir kaum erwarten. Die Idee zu diesem Ausflug hatten jedoch auch viele Einheimische, die hier zum Picknick mit ihrer Großfamilie herkommen. Die Pools waren daher so voll, wie unsere Freibäder an einem sonnigen Wochenende zu Beginn der Sommerferien und die Becken hatten nichts mehr Natürliches an sich. Etwas enttäuscht stehen wir ratlos herum. Schließlich erfahren wir von einem Pool etwas weiter unten im Wald und machen uns auf den Weg. Nach einer kurzen Wanderung finden wir das, wonach wir gesucht hatten. Mitten im Wald stoßen wir auf ein kleines Paradies: ein zwar auch künstlicher aber natürlich erscheinender Pool, gespeist von einem kleinen Wasserfall. Das warme Wasser ist wie eine Kur für den ganzen Körper. Das Wasser ist mit zum Teil mehr als 40 Grad Celsius allerdings so warm, das wir zwischendurch wieder raus müssen um Kreislaufprobleme zu vermeiden. Zurück bei unseren Familien verfallen wir in einen entspannten tiefen Schlaf.
Am Montag beginnt unser Unterricht. Wir haben jeweils fünf Stunden Einzelunterricht pro Tag mit einem eigenen Lehrer. Das ist hier so üblich um den unterschiedlichen Niveaus gerecht zu werden. Fünf Stunden Grammatik am Stück machen sich bemerkbar, am Ende sinkt die Aufmerksamkeitsspanne rapide. Nach einer Woche haben wir erstmal genug um unsere neuen Kenntnisse verarbeiten zu können. Wir bleiben aber noch eine Woche bei unseren Familien um diverse Dinge wie Reparaturarbeiten, Blog schreiben und Organisatorisches zu erledigen.
Um Aufnahmen für Daniels Kurzfilm zu machen, fahren wir zu viert in die Berge nach Totonicapan. Wir brauchen Actionaufnahmen von Kurvenfahrten mit dem Motorrad in schöner Landschaft. Daniel fährt, Joey, Stephan und ich positionieren uns mit unseren Kameras an verschiedenen Stellen an einer kurvenreichen Strasse. Nach einiger Zeit hält jemand mit seinem Kombi und fragt mich ob wir ein „Permiso“, also eine Erlaubnis zum Filmen haben. Da wir hier auf einer öffentlichen Strasse sind, denken wir nicht dass wir eine brauchen. Später, als Daniel gerade bei mir Stopp macht, hält wieder jemand an und fragt energischer was wir hier machen und ob wir eine Erlaubnis hätten. Ich denke zunächst, dass wir keine Menschen filmen sollen, denn wie wir wissen, sind die indigenen Völker sehr empfindlich was das angeht. Als ich dem unfreundlichem Typen auf dem Kameradisplay zeige, dass wir nur das Motorrad und die Landschaft filmen, ist er immer noch unzufrieden und beharrt auf der Erlaubnis. Der nächste Gedanke, der sich mir aufdrängt ist, dass hier sich hier vielleicht irgendwo ein Drogenkartell versteckt und wir daher die Landschaft auch nicht filmen dürfen. Der Mann sagt dann später er wolle jemanden anrufen und fährt weiter. Wir setzen erstmal die Aufnahmen fort. Dann kommt Daniel mit dem Bike zurück gefahren und ruft wir sollen alles zusammen packen und so schnell wie möglich wegfahren. Er sah wieder diesen Typen, der nun wirklich am Telefon hing und Joey berichtete von Aussagen eines anderen Mannes, dass hier Leute, welche für die Minen arbeiten umgebracht werden. Wir machen uns schleunigst aus dem Staub. Am nächsten Tag finden wir heraus was das Problem war.
Ich spreche mit meiner Spanischlehrerin über den Vorfall, in Spanisch versteht sich. Guatemala ist reich an Bodenschätzen, so auch Gold, Silber und anderen Erzen. Ausländische Firmen reicher Nationen, in diesem Fall Kanada und die USA, errichten hier Minen um diese Schätze zu fördern. Während in einheimischen Gebieten diverse Umweltbestimmungen eingehalten werden müssen, hat man in Guatemala bisher bei vielen Minen diesen lästigen Aufwand versucht zu vermeiden. Resultat ist, dass Wasser und Erde stark verschmutzt wurden und das in Gebieten, in denen Einheimische auf Wasser, Ackerbau und Viehzucht angewiesen sind. Frauen wurden unfruchtbar, Kinder blind geboren, Kinder bekamen Hautausschlag und andere Krankheiten, Nutztiere wurden unbrauchbar und die Trinkwasserversorgung war nicht mehr gewährleistet. Der eigene Staat ist keine Hilfe, also betreiben die Menschen Selbstjustiz. In Guatemala herrscht fast Straflosigkeit. Verbrechen werden nicht aufgeklärt. Mörder, Vergewaltiger und andere Verbrecher werden nicht bestraft. So ist es kein Wunder, dass die Bürger selbst handeln.
Wir sahen natürlich aus wie die Stereotypen von ausländischen Minen-Explorateuren und gerieten so unter Verdacht. Alle Erklärungsversuche nutzen nichts, das Misstrauen ist zu gross, die möglichen Konsequenzen für die Einwohner sind zu beängstigend. Wer kann es Ihnen also verübeln, dass sie uns drohen?
Die Gesellschaft Guatemalas ist bezüglich dieses Themas gespalten. Die Landbewohner fürchten die Krankheiten, die Stadtbewohner lockt das mögliche Arbeitsangebot. Politiker schnuppern Geld und tanzen wie Marionetten nach der Nase der Konzerne, auch wenn diese nur einen Bruchteil an Steuern und Abgaben an Guatemala zahlen, und lassen so ihr eigenes Land ausbluten. Zuerst werden Länder wie Guatemala durch angestachelte Bürgerkriege in den wirtschaftlichen Ruin getrieben, um sie dann auf Grund ihrer aussichtslosen Schuldenlage in Abhängigkeit ihrer Gläubiger zu treiben. Man könnte es auch einfach Ausbeutung oder Versklavung nennen. Auch wir werden uns wieder bewusst, wie einige Nationen, so auch unser Heimatland, ihren materiellen Reichtum erlangen. Die Autos und natürlich auch die Motorraeder, mit denen wir herumfahren, könnten nicht ohne diese Materialen zu diesem für uns erschwinglichen Preis gebaut werden, wenn man sich nicht einfach die Bodenschätze anderer Länder für wenig Geld nehmen würde.
Trotz aller gut gemeinten Richtlinien und Firmen Policies finden sich Schlupflöcher und was der Unter-Unter-Unter-… Lieferant vom Endhersteller macht, kann ohnehin keiner mehr ernsthaft kontrollieren. Die Welt ist ungerecht, das wussten wir vorher schon. Uns wurde es nur nochmal direkt vor Augen geführt. Auch diese Reise finanzieren wir letztendlich durch so gewonnen Reichtum. Wir trösten uns, dass wir durch das Reisen wenigstens etwas von dem mitbekommen, was jeder von uns, mit seinem Hunger nach Autos, Elektronik-Spielzeug und sonstigem Luxus, anrichtet, wenn auch indirekt und oftmals unwissentlich. Wir hoffen, dass wir dies auch nach unserer Reise nicht vergessen werden.
Den Trailer, den Daniel erstellt hat und der einige Aufnahmen von diesem Tag enthält, könnt ihr hier sehen: https://youtu.be/Ol2PaTpbv34
In Xela treffen wir auf Greg aus den USA, der mit seiner 450er KTM in Zentralamerika unterwegs ist. Wir beneiden ihn zwar etwas um die Leichtigkeit seines Enduro Bikes, aber nicht um die Ölwechsel die er alle 1000 Kilometer macht. Am letzten Wochenende wollen wir gemeinsam mit Joey, Daniel und Greg einen Ausflug zur Laguna de Chicabal machen. In den letzten Kilometern scheitert das Vorhaben. Zunächst fahren wir die schlammige Straße bergauf, bis uns bewusst wird, dass die Piste so rutschig ist, dass wir Probleme haben werden, wieder hinunter zu kommen. Daniel ist so freundlich und dreht unsere Maschinen an dem Schlammhang um. Es ist so rutschig und steil, das wir bei Fahrt im ersten Gang unter Mithilfe der Motorbremse noch zu schnell wären. Um die Kupplung zu schonen schalten wir in den Leerlauf und versuchen mit sanftem aber konstantem Bremsen den Hang hinunter zu kommen. Diese Aktion sorgt für viel Anspannung, denn die Bikes kommen ständig ins Rutschen. Mehrmals habe ich das Gefühl mich gleich hinzulegen, als ich einige Meter weit mit versetzen Rädern über den matschigen Boden gleite. Die Erleichterung ist groß, als wir endlich wieder auf festeren Boden stoßen. Zum Glück sind wir nicht bis ganz nach oben gefahren.
Der Besuch eines Schokoladenlädchens mit Schokoladenfondue aus Maya-Schokolade und mit Früchten gibt unserem Aufenthalt in Xela einen schönen Abschluss.
Posted in Guatemala by Ulli
„More Than Compassion“
07. / 08. April 2015
In Huehuetenango, einer Stadt in den Bergen im Norden Guatemalas, besuchten wir den Einheimischen Carlos, den wir über die Online-Platform Couchsurfing kennengelernt hatten. Er erzählt uns nach einiger Zeit, dass er gelegentlich bei einem Waisenhaus aushilft. Auf unsere Nachfrage hin willigte er ein, mit uns gemeinsam dem Haus einen Besuch abzustatten. So fuhren wir mit unseren Motorrädern zum Waisenhaus „Fundación Salvación“ und lernten für kurze Zeit das Innenleben dieser Einrichtung kennen. Rings um einen großen Innenhof mit Spiel- und Sportplatz sind die Gebäude zur Beherbergung der derzeit 107 Kinder im Alter von wenigen Monaten bis zu 18 Jahren angeordnet. Dazu zählen die verschiedenen Schlafsäle für Jungen und Mädchen, eine Küche mit Essraum, ein Büro und Aufenthaltsräume. Nach außen hin ist durch Mauern und ein großes Tor alles abgeschottet. Trotz den Bemalungen an den Wänden wirkt der Ort trist und ein wenig wie ein Gefängnis, wenn man bedenkt, dass sich die Kinder hier den größten Teil ihres Lebens aufhalten und nur für den Schulbesuch und nur für wenige andere Gelegenheiten Ausgang haben.
Carlos erzählt uns, dass es sehr schwierig ist, den Kindern Verhaltensregeln und respektvollen Umgang miteinander, sowie gegenüber Erwachsenen beizubringen. Die einzigen Autoritätspersonen die sie haben, sind die Lehrer und Aufsichtspersonen. Ziemlich schnell merken die Kinder, dass sie von diesen Personen keine schlimmen Strafen zu befürchten haben und tanzen daher den Lehrern auf der Nase herum. Ohne eine emotionale Bindung, wie sie Kinder normalerweise zu Eltern haben und daher aus Angst vor „Liebesentzug“ gehorsam sind, ist es schwierig, Kinder zu erziehen.
Die Kinder sind zunächst schüchtern als sie uns mit den Bikes erblicken und betrachten uns aus sicherer Entfernung. Nach einiger Zeit bricht jedoch das Eis und die Kinder klettern die Bikes rauf und runter. Kein Knopf oder Schalter ist mehr sicher und sämtliche Funktionen müssen überprüft werden. Sie grinsen uns mit ihren verschmitzten Gesichtern an und machen allerlei Faxen.
Wir entschließen uns dazu das Projekt in die Datenbank der Stiftung für Helfer aufnehmen zu lassen und einen Teil unser bisher gesammelten Spendengelder hier abzuzweigen. Es mangelt sowohl an einfachen Dingen wie Zutaten für eine ausgewogene Ernährung, aber auch an Möglichkeiten um den Kindern Abwechslung oder Aktivitäten anbieten zu können. Für das Problem mit der ausgewogenen Ernährung muss eine dauerhafte Lösung gefunden werden, unser Beitrag wäre hier nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Daher entscheiden wir uns für eine nachhaltige Sachspende, um den Kindern Aktivitäten außerhalb ihres tristen Alltags zu ermöglichen: Es gibt einige kaputte Fahrräder die nicht mehr genutzt werden können, weil die erforderlichen Ersatzteile fehlen. Im lokalen Fahrradgeschäft kaufen wir mit Carlos verschiedene Teile, um sie wieder fahrtüchtig zu machen: Pedale, Bremsklötze, Schläuche, Mäntel, Ketten, Felge, Flickzeug usw. Einem Fahrradausflug zum Schwimmbad steht somit nichts mehr im Weg.
An einem andern Tag besuchen wir die Grundschule „Colegio Bilingüe Esperanza“, in der die Waisenkinder bilingual unterrichtet werden. Die Schule steht ebenso wie das Waisenhaus unter dem Dach der Non-Profitorganisation „More than Compassion“, was so viel bedeutet wie „mehr als nur Mitleid“. Die Gründer der Organisation sind davon überzeugt, dass einer zerstörten Welt nur geholfen werden kann, wenn dem Mitleid auch Taten folgen.
In der Englischstunde in der 2. Klasse halten wir eine kleine Präsentation über unsere bisherige Reise ab. Am Globus zeigen wir die bereisten Länder und unser Heimatland und einige der Kinder können uns auf der Weltkugel sogar zeigen, wo ihr Heimatland Guatemala liegt. Den Kindern fällt es sichtlich schwer still zu sitzen. Die US-amerikanische Lehrerin muss immer wieder zu Ruhe und Ordnung ermahnen und leider zwischendurch auch ein Kind aus dem Klassenzimmer schicken. Der Alltag für die Lehrer hier ist extrem anstrengend und nervenaufreibend. Sie sind hier aus Überzeugung, doch hätten auch sie sich die Arbeit im Vorhinein nicht so hart vorgestellt, wie sie tatsächlich ist.
Nach dem Schulbesuch gehen wir zurück zum Waisenhaus und erleben das Geschehen im Speisesaal zum Mittagessen mit: Es gibt Reis mit ein paar wenigen, undefinierbaren Stückchen Fleisch, etwas Sauce und dazu trockenen grünen Salat mit zwei Gurkenscheibchen. Laut Carlos wird die Kost nicht sonderlich abwechslungsreicher. Die Kinder erkennen uns wieder und machen mal wieder Späße und Unsinn während des Essens.
Dann ist es Zeit sich zu verabschieden und wir verlassen einen dieser Orte, die es eigentlich auf unserer Welt nicht geben sollte. Über die Schicksale der einzelnen Kinder haben wir nicht viel erfahren können, doch es ist klar, dass jedes von ihnen aus einem traurigen Anlass heraus hier ist. Wir stimmen wir dem Grundsatz von „More than Compassion“ zu: nur Mitleid zu haben hilft nicht, wir müssen auch aktiv etwas dafür tun, um die Situation zu verbessern.
Mehr Informationen und Links zur Webseite der Organisation „More Than Compassion“:
http://morethancompassion.org/fundacion-salvacion
http://www.fundacionsalvacion.org
https://www.facebook.com/fundacionsalvacion
https://www.stiftung-fuer-helfer.de/projekt/compassion-fundacion-salvacion/
Wer uns ermöglichen möchte, weitere solcher Projekte während unserer Reise zu unterstützen, findet das Spendenkonto und weitere Informationen unter diesem Link:
http://www.krad-wanderer.de/hilfsprojekte/
Posted in Stiftung für Helfer by Ulli